RaDiHum20 spricht mit Nicola Mößner

In der dritten Folge unserer siebten Staffel dürfen wir Nicola Mößner, Vertretungsprofessorin für theoretische Philosophie an der Leibniz Universität Hannover, bei uns begrüßen. Wir sprechen über die Veränderungen und Herausforderungen des digitalen Publizierens. Nicola bringt spannende Perspektiven aus der sozialen Erkenntnistheorie und Wissenschaftsphilosophie mit und beleuchtet, wie digitale Publikationsprozesse traditionelle wissenschaftliche Praktiken verändern. Dabei diskutieren wir die zentrale Frage: Ist das Internet tatsächlich „für alle frei zugänglich“, oder sind es Verlage, die durch ihre Gatekeeper-Funktion über Auffindbarkeit und Langfristigkeit von Publikationen entscheiden? Nicola erklärt, warum die Digitalisierung zwar den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur erleichtert, gleichzeitig aber auch bestehende Machtstrukturen festigt.

Ein weiteres Thema ist die grundsätzliche Frage: Was bedeutet Publizieren eigentlich? Ist es das Teilen wissenschaftlicher Erkenntnisse innerhalb der Community oder gehört dazu auch die Vermittlung an die Öffentlichkeit? Diese Überlegungen führen uns zur Abgrenzung von Wissenschaftskommunikation und Publizieren: Sind das wirklich unterschiedliche Bereiche, oder überschneiden sie sich in der Praxis, etwa bei der Nutzung sozialer Medien? Nicola wirft einen philosophischen Blick auf diese Trennung und betont, wie eng sie miteinander verknüpft sind.

Ein zentraler Aspekt unserer Folge ist Open Access: Nicola erklärt, wie unterschiedliche Modelle – von „Gold Open Access“ mit hohen Kosten bis zu „Diamond Open Access“ ohne Publikationsgebühren– Vor- und Nachteile bieten, aber auch Fragen der Fairness aufwerfen. Wir sprechen insbesondere über die hohen Kosten im „Gold Open Access“, bei dem Autor*innen oft viel Geld für die Publikation zahlen müssen. Besonders für Doktorand*innen und Nachwuchswissenschaftler*innen, die außerhalb von Projektstrukturen arbeiten, stellt dies eine enorme Hürde dar. Zu erwähnen ist, dass diese Kosten häufig nicht durch tatsächliche Aufwände gerechtfertigt sind, sondern vielmehr die hohe Gewinnmarge großer Verlage sichern bzw. die Hintergründe des Zustandekommens der Kosten oft nicht transparent gemacht werden kann. Hierein wirken Projekte wie „openCost“ (https://www.opencost.de/). Im Fokus der aktuellen Diskussion stehen daher, die Fragen, wie Wissenschaftler*innen selbst diese Strukturen mitgestalten können und warum ein kritischer Umgang mit marktgetriebenen Publikationssystemen notwendig ist. Nicola und auch wir plädieren dafür, die Wissenschaftskulturen zu überdenken, um weg von reinem Reputationsgedanken hin zu nachhaltigeren und fairen Publikationspraktiken zu kommen, die den Zugang zu Wissenschaft nicht von finanziellen Ressourcen abhängig machen.

Auch die Philosophie tut sich eher schwer mit Publikationsmodellen wie Diamond Open Access. Dennoch finden sich auch hier Angebot, beispielsweise hier: https://www.dgphil.de/die-dgphil/open-access-zeitschriften-1. Zudem wird es morgen einen digitalen Workshop zu diesem Thema („Wissenschaftsgeleitetes Publizieren und Open Access in der Philosophie“) geben: https://open-access.network/fortbilden/workshops/workshops-disziplinaere-angebote-in-kooperation-mit-fachgesellschaften/philosophie.

Darüber hinaus diskutieren wir die Zukunft der Anerkennung wissenschaftlicher Beiträge. Neue Modelle wie Credit-Taxonomien könnten die Rolle einzelner Personen in Publikationsprozessen sichtbarer machen, während Zitationsmetriken als Maßstab für wissenschaftliche Bedeutung kritisch hinterfragt werden. Gleichzeitig beleuchten wir die Gefahren des Datentrackings durch Verlage, das nicht nur ethische Fragen aufwirft, sondern auch einen Einfluss auf die Wissenschaftskommunikation haben kann. Verlage können durch detailliertes Tracking Nutzerverhalten analysieren – von den aufgerufenen Publikationen bis hin zu den gelesenen Abschnitten eines Artikels. Diese Daten werden nicht nur genutzt, um Produkte vermeintlich zu verbessern, sondern können auch an Dritte weitergegeben werden, was etwa für Wissenschaftler*innen in autoritären Staaten gravierende Folgen haben kann. Nicola ruft dazu auf, ein Bewusstsein für diese Praktiken zu schaffen und kritisch mit der Nutzung solcher Plattformen umzugehen und schließt sich damit Forderungen wie der Initiative Initiative „Stop Tracking Science“ (https://stoptrackingscience.eu/) an.

Unser abschließender Appell: Wissenschaft sollte vom Teilen profitieren und nicht von Profitmaximierung geprägt sein. Diese Folge bietet einen philosophischen und zugleich praxisnahen Blick auf das Publizieren und soll einladen, darüber nachzudenken, welche Werte die Wissenschaft in der digitalen Ära prägen sollten.

Reinhören, jetzt! Wir sind schließlich noch hinter keiner Paywall verschwunden, obwohl: Pecunia non olet!

Weiterführende Literatur:

DFG-Ausschuss Für Wissenschaftliche Bibliotheken Und Informationssysteme. 2021. „Datentracking in der Wissenschaft: Aggregation und Verwendung bzw. Verkauf von Nutzungsdaten durch Wissenschaftsverlage. Ein Informationspapier des Ausschusses für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme der Deutschen Forschungsgemeinschaft“. Zenodo. https://doi.org/10.5281/ZENODO.5900759.

Lamdan, Sarah. 2023. Data cartels: the companies that control and monopolize our information. Stanford, California: Stanford University Press.

Mößner, N. / Erlach, K. (Hrsg.): Kalibrierung der Wissenschaft – Auswirkungen der Digitalisierung auf die wissenschaftliche Erkenntnis. Bielefeld: transcript 2022, DOI: 10.14361/9783839462102.

Mößner, N. / Erlach, K. (Hrsg.): Vermessene Philosophie. Konstruktion und Kontrolle wissenschaftlicher Expertise, im Erscheinen als Diamond-OA-Publikation.

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