Wir haben uns mit Alexander Czmiel und Stephan Druskat von der AG Research Software Engineering des Verbandes für Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (DHdSteht für den Verband der Digital Humanities im deutschsprachigen Raum, wird alternativ allerdings auch für die Konferenz des Verbandes verwendet. (Der DHd vs. die DHd)) unterhalten, um euch in einer neuen RaDiHum20-Folge Einblicke in ihre Arbeit zu geben. Natürlich ging es um die AG, ihre Gründung, Tätigkeiten und Pläne. Wir haben aber auch ganz allgemein über Research Software Engineering gesprochen und darüber, dass Software in der Forschung allgegenwärtig ist.
“Research Software Engineering” – ein Begriff erobert die DH-Welt
Nach der Vorstellung von Alex und Stephan ab Minute 3, erzählen die beiden, wie es zur Gründung der AG kam und welches Ziel sie verfolgt. Mit der Nutzung des Begriffs “Research Software Engineering” unterstützt die AG die Identifizierung von Software-Entwickler:innen in den Digital Humanities als Teil genuiner Forschung und auch die Anerkennung für diesen Bereich als Forschungsarbeit. Das große Ziel ist dabei, zu der Einsicht zu gelangen, dass in der Zusammenarbeit von Geisteswissenschaftler:innen und Entwickler:innen Wissenschaft auf Augenhöhe betrieben wird. Der Begriff RSE ist erst vor zehn Jahren während eines Workshops in Großbritannien entstanden. Danach hat er eine rasante Verbreitung erfahren.
Forschungssoftware ist überall
Ab Minute 7:30 fragen wir danach, warum die AG gerade im DHd-Verband gegründet wurde. Das Thema Research Software Engineering wird zwar schon von der einen oder anderen Richtlinie aufgegriffen, aber noch gibt es zu wenige praktische Umsetzungen. Ein paar dieser arbeitspraktischen Bereiche haben Überschneidungen mit den Gebieten anderer DHd-AGs wie z. B. der AG digitales Publizieren. Stephan berichtet von seiner eigenen Arbeit in seiner Dissertation, in der er sich mit der Zitierfähigkeit von Software beschäftigt. Alex ergänzt, dass RSE wirklich eine Art Querschnittsthema ist, das alle Bereiche der Digital Humanities berührt. Unabhängig von der thematischen Ausrichtung beschäftigt man sich überall mit Software und stellt Fragen wie “wie entwickle ich Software so, dass sie das Forschungsprojekt voran bringt?”, “was sind Best Practices?” oder “wie kann Forschungssoftware nachhaltig bereitgestellt werden?”.
Die AG RSE – was macht sie eigentlich und wie kann man mitmachen?
In Minute 11:30 konkretisieren wir das Thema der AG-Aktivitäten. Stephan erzählt, dass die wachsende RSE-Community zunehmend Vernetzung braucht. Außerdem werden in der AG Guidelines für Best Practices entwickelt. Und die AG beteiligt sich an Diskussionen über Lehrpläne für Studierende der Digital Humanities. Die wichtigste Arbeit ist aber nach wie vor, die Rolle der Entwickler:innen innerhalb des Forschungsfeldes der digitalen Geisteswissenschaften zu stärken. Alex ergänzt ein paar AG-Aktivitäten, die bereits abgeschlossen sind.
Der erste Workshop der AG war zum Beispiel gleich ein fulminanter Erfolg. Über 100 Teilnehmer:innen haben dabei Handlungsfelder für die AG definiert. Daraus wurde eine Blogpostreihe, die ihr hier einsehen könnt. Schon zu Beginn der AG-Arbeit wurden eine Mailingliste und ein Twitter-Account etabliert. Die AG RSE ist aber auch Teil der DH-Tech-Gruppe, die regelmäßig Seminare organisiert. Eine Special Interest Group innerhalb des internationalen Dachverbandes ADHO ist in Planung. Auf der DH-Konferenz 2019 in Utrecht hat die AG ein White Paper geschrieben, indem die großen Themen der RSE festgehalten sind.
Je mehr RSE-Gruppen es gibt, desto besser!
Stephan berichtet ab Minute 17, dass sich, ergänzend zur DHd-AG, fast zeitgleich die Gruppe der DE-RSE formiert hat, an der Alex und er auch beteiligt sind. Es geht also noch nicht unbedingt darum, die Aktivitäten der RSEs in einer AG zu bündeln, sondern erst einmal darum, dass sich viele lokale Gruppen organisieren. So wird RSE-Arbeit zunächst in kleineren Gruppen betrieben und überall ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von RSE geschaffen. Natürlich gibt es aber auch schon jetzt viel Vernetzung der DHd-AG wie z. B. auch zu der bereits älteren Gruppe “The Carpentries”. Dass Vernetzung bereits funktioniert, zeigte sich z. B. auch bei der ersten Konferenz der DE-RSE, die im Jahr 2019 durchgeführt wurde. Mehr als 200 Interessierte aus ca. sieben Ländern trafen sich hier, um Neues über Research Software Engineering zu erfahren. Im Jahr 2020 kann die Konferenz nicht stattfinden, was aber durch das online Event SOURCE kompensiert wird.
RSE ist überall
Ab Minute 20:15 versuchen wir uns den digital-geisteswissenschaftlichen Forschungsprozess genau anzuschauen, um zu identifizieren, an welcher Stelle Software ganz konkret eingesetzt wird. Im Grunde ist die ModellierungModellierung ist der Prozess bzw. die Methode der Entwicklung oder Formung eines Modells. Ein Modell ist dabei eine vereinfachte, domänenspezifische Abbildung von etwas, z. B. ist ein Globus ein Modell der Erde. Modellierung ist eine Vorarbeit zur Operationalisierung und damit zur Anwendung konzeptioneller Überlegungen auf konkrete Daten wie z. B. Texte und andere kulturelle Artefakte. und Operationalisierung von Forschungsfragen schon der erste Schritt in Richtung des computationellen Denkens. Dann, bei der Erhebung der Daten, wird es konkret: Welche Software verwendet man hier? Greift man auf etablierte Lösungen zurück oder muss etwas Neues her? Müssen Daten in ein bestimmtes Format gebracht werden? Sobald man sich bei irgendeiner dieser Fragen hinsetzt und ein Skript schreibt, ist man ein Research Software Engineer, betont Alex. Das DH-spezifische dabei ist, dass geisteswissenschaftliche Fragen oft (im besten Falle) semi-strukturierte Daten hervorbringen. Diese müssen dann ganz anders verarbeitet werden als hochspezifische Daten wie z. B. in den Naturwissenschaften. Ohne Verständnis der geisteswissenschaftlichen Daten und Fragen kommt man bei der Entwicklung von Software, die diese verarbeiten soll, nicht weiter.
Bewusstes RSE als Mehrwert geisteswissenschaftlicher Forschung
In Minute 24:50 stellen wir die Frage, welchen konkreten Mehrwert die AG-RSE-Arbeit geisteswissenschaftlichen Forscher:innen denn bringen kann. Und auch hier ist wieder Vernetzung und die Kommunikation der Relevanz des Themenfeldes wichtig. Die Geisteswissenschaften sehen sich selbst oft als technologiefern, obwohl schon ganz viel mit Software gearbeitet wird. Sich hier mit Gleichgesinnten auszutauschen ist an allen Ecken eine große Bereicherung für den DH-Forschungsprozess. Und auch über disziplinäre Grenzen hinaus kann man nach Lösungen für die eigene Forschung suchen. Wenn man sich als Geisteswissenschaftler:in mit Physiker:innen zusammensetzt, wird sichtbar, dass man im Grunde an ähnlichen (technischen) Problemen sitzt und dass der jeweils andere der Lösung vielleicht schon ein Stück näher ist.
Alex und Stephan betonen ab Minute 29:00, dass sich die AG-RSE an alle richtet, die ein Interesse an dem Thema haben. Viele in den DHDH steht für Digital Humanities, also digitale Geisteswissenschaften. sind als Fachfremde aus den Geisteswissenschaften zum RSE gekommen. Der Austausch mit anderen, gerade wenn sie auf einem anderen Level der Einarbeitung sind, ist dabei immer ein Gewinn. Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten und oft sind das sprachliche. Denn wer schon viele Jahre Software entwickelt, wird eine andere (Fach-)Sprache sprechen, andere Ausdrücke nutzen oder mit denselben Ausdrücken etwas anderes meinen als jemand, der gerade erst ins RSE einsteigt. Aber auch hierfür bietet die AG eine Plattform. Übersetzungsarbeit zwischen Geisteswissenschaftler:innen und Entwickler:innen ist ein weiteres Arbeitsfeld, das oft von Research Software Engineers geleistet wird, da sie beide Gebiete gut kennen.
Die Zukunft des Research Software Engineering – bist du dabei?
Ab Minute 34:45 sprechen wir über die Zukunft des Research Software Engineering. Schon jetzt passiert viel und das Thema Forschungssoftware wird überall in den Wissenschaften diskutiert. Trotzdem wird Software (noch) nicht der Wert zugeschrieben, den sie innerhalb der Forschung haben müsste. Aber es wird besser: Software und Research Software Engineering wird häufiger erwähnt, auch große Fördereinrichtungen greifen das Thema in Richtlinien und Policies auf. Die Awareness wird dadurch weiter wachsen. Auch die Anerkennung für die reine Programmierung von Forschungssoftware als wissenschaftliche Leistung muss weiter wachsen, denn nur so kann in der Forschung (noch) bessere Software erstellt werden.
Ab Minute 41:10 sagen Alex und Stephan nochmal ganz ausdrücklich, dass jeder mit Interesse für Forschungssoftware in der AG willkommen ist; vom Studierenden bis zur Professorin oder Professor. Ein erster Schritt ist ein Abo der Mailingliste. Aber auch mit eigenen Ideen für Workshops oder Paper kann man sich bei der AG melden, um sich auszutauschen. Die beiden betonen auch, dass man nicht programmieren können muss, um hier dabei sein zu können. Aber natürlich wird es einen im Leben und in der Forschung weiterbringen, wenn man sich entschließt, eine Programmiersprache zu lernen. Und dabei ist es fast egal, welche. Hauptsache sie dient dem Vorankommen bei der Forschung, an der man sitzt. Schon erste Einsichten in Skripts helfen dabei, ein computationelles Denken zu entwickeln, das eine neue Perspektive eröffnen kann.
[cite]
Sehr schöner Beitrag und schönes Gespräch 🙂 Grüße von einem „digitalen Archäologen“ und RSE aus Mainz, der seinem Vorstandskollegen des de-RSE e.V. bei allem nur beipflichten kann. Lernt programmieren 🙂
Lieber Florian,
Vielen Dank für den Kommentar und die Grüße!
Wir grüßen natürlich freudig zurück 🙂
Dein RaDiHum20-Team